54 Einzelgebiete.
Strom, nicht Teutschlands Grenze" (Arndt), ja in der Glanzzeit deutscher Herrlichkeit im
Mittelalter floß er, wie ein zeitgenössischer Geschichtschreiber sich ausdrückt, „mitten durch
Deutschland". Die Rheinlande waren im Mittelalter der Hauptsitz deutscher Kultur und
deutscher Kaiserherrlichkeit. Bei Mainz oder in Frankfurt wurden die Kaiser gewählt und zu
Aachen gekrönt; die Rheinstraße entlang zogen sie über den Splügen nach Italien, um sich
die römische Krone zu holen; in der alten Reichsstadt Speyer endlich fanden viele von ihnen
ihre letzte Ruhestätte. Den Rhein entlang (des Reiches Psaffengasse) saßen die mächtigsten
geistlichen Kurfürsten, die Erzbischöse von Mainz und Köln. In den rheinischen Städten
feierte das Rittertum seine glänzendsten Feste, dichtete Gottfried von Straßburg fein
glühendes Epos und sang Heinrich Frauenlob seine zarten Minnelieder. Längs der ver-
kehrsbelebten Rheinstraße erblühten mächtige Reichsstädte mit einem selbstbewußten,
gewerbe- und handelstätigen Bürgertum. Machtvoll trat der Rheinische Städtebund
dem ungerechten Treiben der Ritter und Fürsten entgegen. Herrliche Dome, stolze Fürsten-
schlösser und starke Waffenplätze entstanden; hier wurde die Buchdruckerkunst erfunden. Erst
durch den politischen Zerfall Deutschlands im 30 jährigen Krieg und die Raubzüge Lud-
wigs Xiv. ward der Rhein „Deutschlands Grenze", bis er mit der Wiederaufrichtung des
Deutschen Reichs 1871 aufs neue „Deutschlands Strom" wurde.
Tas Maingebiet (Franken) in der Geschichte. Den Main entlang bestanden jähr-
hundertelang große geistliche Herrschaften, die Bistümer Bamberg und Würzburg;
Bamberg hochverdient durch die Christianisierung flavischer Völkerschaften im O., Würz-
bürg berühmt durch die Pflege der Wissenschaften und der christlichen Charitas. Am Main
liegt auch Frankfurt, der alte Handelsmittelpunkt. — In dem verkehrsreichen Franken-
land mit seinen zum Burgenbau einladenden Felsenhöhen fand das Rittertum einen
nur zu günstigen Boden, und das gewalttätige Regiment desselben beförderte hauptfäch-
lich die Erhebung der Bauern i. I. -1525. Neben der hohen Geistlichkeit und dem Adel
tat sich auch das Bürgertum in den Reichsstädten Frankens rühmlich hervor, allen
Städten der Welt voran im Nürnberg des sechzehnten Jahrhunderts, wo Bischer, Dürer,
Kraft und Hans Sachs weithin Ruhm erlangten.
In den Zeiten schwacher Kaiserherrschaft hatten auch die Frankenlande alle Leiden
der politischen Verelendung Deutschlands zu tragen. Die Mainftraße entlang zogen im
30 jährigen Krieg die Heere Gustav Adolfs und zu Anfang des 19. Jahrhunderts die Truppen
des korsischen Cäsars. Noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts galt die „Main-
linie" sehr mit Unrecht als eine natürliche Scheidewand zwischen Nord- und Süd-
deutschend. Das Mainland ist indes weit mehr eine „Brücke" zur Verbindung von
Nord und Süd, und sein blühendes Berkehrsleben verdankt es vor allem diesem glück-
lichen Umstand.
Und welch glanzvolle fränkische Namen weist die Geschichte der deutschen Dichtkunst
auf! Franken ist die Heimat des gedankenreichsten Sängers der höfischen Poesie, Wolframs
von Eschenbach, und das Mainland schenkte uns Goethe. Im letzten Jahrhundert wurden
hier Friedrich Rückert, Graf Platen und Jean Paul geboren.
Schwaben in der Geschichte. Mit den Franken wetteifert in geschichtlicher Bedeutung
der wackere Stamm der Schwaben. Nicht weniger als vier große Herrscherhäuser hat er dem
deutschen Volk gegeben: die Staufer und die Welfen, die Hohenzollern und die Zäh-
ringer. Dem stark ausgeprägten Freiheitssinn des Stamms ist die Entstehung der
vielen freien Reichsstädte zuzuschreiben. Mit der Freiheitsliebe des Schwaben paart
sich seine altbewährte Tapferkeit, die Uhland in der Schwäbischen Kunde treffend zeichnet.
Die Schwaben galten als so wehrhaft und streitbar, daß sie die Vorfechter des Reichsheeres
bildeten und das Vorrecht genossen, immer das Reichsbanner in den Kampf zu tragen,
eine Ehre, die bis zu Anfang des vorigen Jahrhunderts bei Württemberg verblieben ist.
Mit diesen echt männlichen Zügen vereinigt das schwäbische Volk jene wundersame
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von_Eschenbach Goethe Friedrich_Rückert Friedrich Jean_Paul
Extrahierte Ortsnamen: Mainz Frankfurt Aachen Rheinstraße Italien Rhein Mainz Rheinstraße Deutschlands Rhein Main Bamberg Main Frankfurt Franken- Frankens Deutschlands Mainland Nord Mainland Schwaben Schwaben Schwaben Württemberg
Die Anfänge der Völkerwanderung.
9
Genaueres als' über den Götterglauben unsrer Vorfahren wissen wir über die Mythologie der nordischen Germanen, wie sie in der Edda zusammengefaßt ist. Dort nannte man den obersten Gott Odhin; er feiert in seiner Burg Walhalla fröhliche Gelage mit den erschlagenen Helden, welche die Walküren, die Schlachtjungfrauen, zu ihm emporgetragen haben. Seine Gemahlin heißt Frigg; neben ihr kannte man die liebreizende Göttin Freya. Man erzählte ferner von dem jugendlichen Balder, dem Frühlingsgott; wie die lange Winternacht jährlich gleichsam den Sommer besiegt, so wird Balder von seinem blinden Bruder Hödur erlegt, den Loki, der Gott des Bösen und der Lüge, dazu angestiftet hat. Lokis Tochter hieß Hel, die finstere Todesgöttin, in deren trübseliges Reich alle die hinabsteigen, welche nicht den Tod des Kriegers auf dem Schlachtfelde sterben. In einem letzten Kampfe, so glaubte man, würden die Götter den Riesen unterliegen und die Welt untergehen; aber aus dem furchtbaren Brande werde eine bessere Welt erstehen.
Neben diesen Göttern kannten und verehrten- die Germanen noch die unendliche Menge der Elben (nord. Elfen), die in Haus und Feld, Wald und Heide hausen, der Nixen, die in den Fluten wohnen, der Zwerge, welche die Metallschätze des Erdbodens behüter>^
2. Die Zeit der Völkerwanderung.
Tie Anfänge der Völkerwanderung.
§ 8» In den römischen Grenzlanden waren römische Städte ent- Me standen, z. B. Köln, Mainz, Trier, das zeitweise die Residenz römischer Kaiser war und noch heute mächtige Ruinen römischer Bauten besitzt, sodann in den lanbe' Donauländern Augsburg, Regensburg, Salzburg, Wien. Es hatte sich an Rhein und Donau römisches Leben und römische Kultur angesiedelt; n. a. waren auch die ersten Weinreben am Rhein gepflanzt worden. Mit den Germanen trat man in Handelsverkehr. Man kaufte von ihnen Pelze, Gänsefedern, Haare, mit denen sich römische Frauen schmückten, und Bernstein, der seit alters von der Nord- und Ostseeküste nach Südeuropa gebracht wurde: dafür erhandelten die Germanen Schmucksachen, Waffen und Wein.
Allmählich kam es immer häufiger vor, daß Germanen einzeln oder in Friedliche Haufen über die Grenze wanderten. Je mehr die Bevölkerung wuchs, destotnun^ mehr fehlte es ihnen an Ackerland; die Landnot der Germanen ist eine
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8
Deutsche Geschichte bis zur Gründung des nationalen Staats 919.
Vormundschaft des Vaters, des Bruders oder des Gatten; die Ehe wurde noch in der Form des Brautkaufs geschloffen; der Frau bürdete man die wirtschaftliche Arbeit auf. Aber als Hausherrin und Mutter ward sie dennoch hochgeachtet; Frauen übertrug man gern ein priesterliches Amt; etwas Heiliges und Ahnungsvolles schrieben die Germanen, wie der römische Geschichtschreiber Tacitus berichtet, dem Weibe zu.
glaube' § Der Götterglaube der Germanen. Ihren Göttern errichteten die Germanen keine Tempel, sondern beteten sie in uralten, heiligen Hainen an; auch machten sie von ihnen keine Bilder. Sie opferten ihnen Feldfrüchte und Tiere, besonders Rosse, aber auch Kriegsgefangene. Sie verehrten einen Gott des Himmels und des Sturmwinds, Wodan (Wuotcrn). Er ist der Allvater und Götterkönig. Einäugig, mit breitem Hut und weitem, blauem Mantel fährt er auf weißem Wolkenroß durch die Lüfte; Hunde umbellen ihn, Raben flattern um ihn her. Er ist ferner der Totengott, der im Innern der Berge über die Toten herrscht. Er hat aber auch die Schriftzeichen der Runen erfunden, denen man Zauberwirkung zuschrieb. Ihm war der Mittwoch heilig (Wodanstag, engl. Wednesday). Reste des Wodansglaubens finden sich in der Sage vom wilden Jäger, der zur Nachtzeit mit dem wilden Heer durch die Lüfte fährt.
Wodans Gattin ist Freija, die Beschützerin der Ehe und der Familie, welche die Schlüssel des Hauses an der Seite trägt; der Freitag ist ihr geweiht. Auch sie lebt in der Sage fort als Frau Holle, d. i. die Holde, welche bei Schneefall die Betten schüttelt und das fleißige Mädchen mit Gold, das faule mit Pech überschütten läßt, oder als Frau Berchta oder Bertha, die zur Zeit der geheimnisvollen Zwölfnächte (um Neujahr) in langwallendem Schleier durch die Lande zieht. Von der Erdgöttin Nerth u s erzählt uns der römische Geschichtschreiber Tacitus: sie wohnt auf einer Meeresinsel in einem heiligen Hain; zu bestimmten Zeiten fährt sie, Frieden und Freude verbreitend, auf einem Wagen, den heilige Kühe ziehen, durch die Lande. Der einarmige Ziu, nach dem der Dienstag den Namen hat, war der Gott des Krieges. Der Gewittergott ist Donar, der mit dem Hammer bewaffnet ist und auf dem rollenden, von Böcken gezogenen Donnerwagen dahinstürmt. Er galt den Germanen zunächst für den Vorkämpfer der lichten Götter, der Äsen, gegen die Riesen, wilde Naturgewalten, die mit immer erneutem Angriff die göttliche Ordnung und Sitte bedrohen; je mehr sie aber in den kommenden Jahrhunderten aus Kriegern zu einem Bauernvolke wurden, desto mehr wurde Donar, der den Regen sendet, zum Beschirmer der Fluren und des Ackerbaus.
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— 170
liehen, eisernen Gittertoren. Ein woblgcpslegier Laubgang führte nach der Windburg, dem Aussichtspunkte auf einer Anhöbe am Südwestende des Parkes. Behauene Hecken, regelmäßig geschnittene Tarnswände, Formbäume, Gebüfchgruppen und Wasserkünste vollendeten den damals in Deutschland beliebten französischen Parkstil. Den breiten Platz vor dem Schlosse schmückte im Sommer die reiche Orangerie (Gewüchshauspflanzen) des Grasen. Dahinter dehnte sich ein wohlgepflegter Rasengrund mit Prunkbeelen aus. Im Mittelpunkt des Gartens war ein großes Wasserbecken, in welchem sich das Standbild des Herkules erhob. Die Haut des nemei'fchen Löwen über die Schulter gehängt, die Keule zum tödlichen Schlage erhoben und unter dem Fuße die vielköpfige Hydra, aus deren einem Haupte ein starker Wasserstrahl emporstieg, so war der Held in seiner unüberwindlichen Stärke dargestellt. In den Anlagen waren fast alle Götter des Olymps versammelt. Auf hoben Sockeln standen in den Hauptgängen die obersten Gottheiten mit Ausnahme des häßlichen Vulkan. Dann folgten die neun Musen, von denen eine, die in Trümmer ging, durch einen Dudelsackspseiser ersetzt wurde, der jetzt im Ersurter Steigergarten den munteren Klängen der Sommerkonzerte lauscht. Wo ein stiller Winkel war, grüßte auch eine Flora oder Pomona (Göttin des Obstbaues), ein Standbild des Frühlings oder Herbstes. Spbinre lugten durch das Gebüsch, und Flußgötter und Nvmphen spendeten Wasser aus umgestürzten Urnen oder Mnfchelhörnern. Am Ende des Parkes war ein Teich, den fechs Wasserspeier umgaben, und aus dessen Flut ein Schwan aus dem Schnabel Fontänen steigen ließ. Ueber-all rauschte und plätscherte es, und zu all' den Wasserkünsten lieferten die Jchtershäuser Teiche ihren überflüssigen Inhalt.
Luftiges Leben: Aus diesem Landsitz, aus welchem sich der
ruhebedürftige Götter zu erholen gedachte, begann bald ein freudenreiches Leben. Aus der Ferne eilten die alten Freunde ber-bei, und fchöne Frauen erhöhten die Freude. Park und Schloß hallten wieder von dem Jubel der Gäste. Verlockend ertönte der Gesang der französischen Sängerinnen, und die graziösen -länze einer Varbcrina1) entzückten die Festteilnehmer. Und welche Genüsse bot die Gottersche Tasel! Neben den seltensten Speisen wurde eine Riesenpastete aufgetragen, der ein Zwerg entstieg, welcher der gefeiertsten Dame einen kostbaren Strauß überreichte. Schüsseln, gefüllt mit Uhren, Ringen, Ketten und anderen Schmucksachen, wurden ausgetragen, aus denen sich dann jeder ein Andenken an Molsdorf fischte. In großen Champagnergläsern ohne Fuß, die heute noch im Schlosse zu sehen sind, wurde der schäumende Wein geboten und mußte in einem Zuge getrunken werden. Eines Tages, als gerade der Graf nach Gotha zur Tafel geladen war,
!) Berühmte italienische Tänzerin, die auch einige Jahre an der Königl. Over zu Berlin als Prima Ballerina (erste Tänzerin) tätig war.
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Extrahierte Ortsnamen: Windburg Deutschland Molsdorf Gotha Berlin
— 183 —
sandle sofort eine ansehnliche Summe an Schillers Gattin, wobei er freilich bemerkte, daß er sich aus eine bestimmte Erhöhung der Pension „alleweile" nicht einlassen könne.
Rückkehr: Obwohl Schiller und seiner Gemahlin die Tage
in Erfurt angenehm verflossen, suhlten sich beide doch nicht ganz wohl hier. Sie sehnten sich nach der eigenen Häuslichkeit und kürzten deshalb den noch auf längere Zeit berechneten Aufenthalt ab. — Ihre Abreise erfolgte am 1. Oktober. (Nach Albert Pick.)
64. Französische Emigranten in Erfurt.
Ihre Ankunft: Die französischen Ausgewanderten, die in
den Rheinstädten eine Zuflucht gefunden halten, flohen bei Au-nährnng der Franzosen weiter ins deutsche Land hinein. Dabei wählten viele Erfurt als neuen Wobnsitz, da man ihnen von befreundeter Seite die Stadt vorteilhaft geschildert hatte.
Seit Anfang 1795 kamen sie in großer Zahl hier an. Unter ihnen waren viele, die einst eine glänzende Rolle gespielt Hatten. Ehemalige Erzbischöse, Bischöfe, Aebte und dergleichen kamen zum Brühlertor hereingepilgert, und säst alle boten einen herzzerreißenden Anblick dar. Mit Bündelchen auf dem Rücken und mit zerrissenen und zerlumpten Kleidern hielten sie ihren Einzug. Einer von ihnen erzählte mit heilerer Miene, daß er nichts anderes gerettet habe als die Bibel, die er unter dem Arm trug. Tatsächlich hatten viele nicht einen roten Heller mehr in der Tasche; sie wußten nicht, wo sie einen Bissen Brot hernehmen, womit sie ihr Schlasgeld bezahlen sollten. Piele gingen barsuß, und dabei war es mitten im Winter. Sie erzählten auch, daß manche unterwegs liegen geblieben und erfroren wären.
Ihre Lebensweise: Mitte Februar waren, wie durch Be-
auftragte des Rates festgestellt wurde, schau über 1000 Vertriebene in der Stadt. Man räumte ihnen die Schottenkirche zum Gottesdienst ein. In ihr wurde von jetzt ab französisch gepredigt. Besonders ernst und streng begingen sie die heilige Woche. Viele speisten die ganze Zeit hindurch kein Fleisch. Alle Speisen, die sie genossen, mußten mit Cel geschmelzt sein, weil ihnen selbst die Butter verboten war. Auch erschienen viele in schwarzen Kleidern, die sie in den letzten Tagen gar nicht mehr ablegten.
Gezwungene Beschäftigung: Mancher von den Emigranten, der einst bessere Tage gesehen halte, war gezwungen, sich seinen Lebensunterhalt durch Anfertigung kleiner Handarbeiten zu verdienen. So verkaufte bei der Feier der Peterkirmfe (Sonntag nach Ostern) auf dem Roßmcirkle (Herrmannsplatz) ein ehemaliger französischer Herzog Handkörbchen, Schächtelchen und Kästchen, die er selbst aus Pappe angefertigt hatte. Von seinem Stand aus rief er den Vorübergehenden sorlwäbrend zu: „Achetez des corbeilles
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— 20 —
In demselben Jahre wurde Heinrich Ii. zum Herrscher von Deutschland erwählt und vom Erzbischos Willegis von Mainz gekrönt. Er kam zur Huldigung nach Thüringen, wo er von den Thüringer Edlen unter der Führung des Grafen Wilhelm von Weimar und Orlamünde aufs ehrerbietigste begrüßt wurde. Erfreut darüber, übertrug er dem Grasen Wilhelm die Herrschaft in Thüringen und erließ den Thüringern den bisher gezahlten Schweinezins. Später wurden die Grasen von Weimar unter Wilhelm Ii., dem Solme des vorigen, auch Markgrafen von Meißen. Aber auch dem neuen Geschlechte gelang es nicht, die ausschließliche Herrschaft über Thüringen zu gewinnen.
Zu dieser Zeit war die Besiedlung des Landes noch sehr ge ring. Sie erstreckte sich nur aus die flachen Täler des mittelthü-ringischen Beckens, der Werra und Saale. Große Teile des Landes waren noch mit Wald und Sumpf bedeckt und das Gebirge fast menschenleer. Ter bedeutendste Ort Thüringens war Ersurt. das aber schon unter Mainzer Herrschaft stand. (Nach Julius Koch, Tr. E. Devrient n. a.)
ö. Die Religion der alten Chüringer.
Tie Altthüringer waren Heiden wie alle Germanen. Sie dachten sich die Natur von unsichtbaren, lebenden Wesen bewohnt, die ihnen teils freundlich, teils unfreundlich gesinnt waren, und verehrten sie in Hainen, an Quellen und aus Höhen. Hier opserte der Hausvater sür die Familie oder der Edeling sür die Völkerschaft Feldfrüchte, Rinder und Pferde, um die guten Götter dem Spender wohlwollend zu erhallen, die bösen aber günstig zu stimmen. Tem Opfer folgte immer die Gilde oder der Opferfchmaus.
Wodan: Gleich den übrigen Germanen verehrten die Alt-
thüringer in Wodan den Göttervater und den Gott Himmels und der Erde. An ihn erinnern in unserer Gegend noch die Ortsnamen Utzberg (urkundlich Wodanesberg) und Udestädt. Möglich ist auch, daß der Name des Erfurter Abgottes Wage, dessen geweihte Eiche der Sage nach von Bonisaeins gefällt wurde, ein: Verunstaltung des Namens Wodan ist. Zur Zeit des Erntefestes opferten unsere Vorfahren dem Göttervater in der Wawet (Steigert am Ufer der Gera Rinder, Eber und Gänse und zündeten Fackeln und Lichter zu seiner Ehrung an. Diese Gebräuche haben sich in den Kirmesschmäusen und Martinsfeiern bis auf unsere Tage ertasten. Nach Einführung des Christentums wurde Wodan zum wilden Jäger und zum Knecht Ruprecht (hrudperat = der Ruhmglänzende, ein Beiname Wodans). Auch glaubte man statt seiner in den Wodensbergen berühmte Helden und Kaiser wohnen, so Friedrich Barbarossa im Kysshäuser, den eine alte Urkunde als Wodensberg bezeichnet. Unter den christlichen Heiligen wurde der reitende Skt. Martin mit dem Mantel, an dessen Kalendertage
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Extrahierte Personennamen: Heinrich_Ii Heinrich Erzbischos_Willegis Wilhelm Wilhelm Wilhelm Julius_Koch Devrient Friedrich_Barbarossa Friedrich Barbarossa Martin
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Mainz Thüringen Weimar Thüringen Weimar Utzberg Gera Kirmesschmäusen Wodans
— 21 —
heute noch der Wodansvogel verzehrt wird, der hauptsächlichste Stellvertreter des mit dem Wolkenmantel im Sturm dahinsahrenden obersten Gottes. Von den Wochentagen war der Mittwoch Wodan heilig.
Frija: Hohe Verehrung wurde auch seiner Gemahlin Frija,
der freundlichen Erdgöttin, zuteil. Ihr war der Freitag heilig. Die christliche Kirche setzte an die Stelle der Göttin die Mutter Maria, und die Sonnenkälbchen der Frija wurden zu Marienkäfern. Unsern Altvordern galten die ersten zwölf Tage des Maimonds wegen der in der Walpurgisnacht vollzogenen Vermählung des Götterpaares als eine besonders hohe Feierzeit, und heute noch besteht die uralte Sitte, den Anfang des Wonnemonats festlich zu begehen. So schmückt in manchem Thüringer Dorf der Bursche das Haus der Geliebten in der ersten Mainacht mit frischem Grün. Auch holt man heute noch den Maibaum ein und umtanzt ihn, nachdem er mit bunten Bändern geschmückt ist; und voller Sehnsucht erwartet der Erfurter die Maisonntage, um einen Spaziergang in den Steiger zu unternehmen. Dabei kommt es ihm jetzt wie ehemals nicht darauf an, einen Abend oder eine Nacht für einen Gang in den Maitau zu opfern.
Walpe.rzug: Sicher ist diese Maifahrt noch der kümmerliche Rest jenes mittelalterlichen Volkssestes, das die Erfurter zu Walpurgis feierten und Walperzug nannten. Im Glanz der Waffen und mit fliegender Fahne zogen die Biereigen durchs Löbertor in die Wawet, wohin schon am Abend vorher die Bierträger Kuchen und Bier gebracht hatten. Sie hielten in der Walpurgisnacht am Lagerfeuer auf der Kuhweide strenge Wacht, um eine etwaige Rückkehr der Winterriefen zu verhindern, und fällten nach üblichem Brauch vier Eichen. Nachdem dann am Festmorgen der Zug der Gewappneten die Wawet erreicht hatte, lagerte man sich in bunten Gruppen unter die Bäume oder tat sich in den errichteten Zelten gütlich an Speise und Trans. Besondere Freude erregten bei alt und jung die Waffenspiele, die als Sinnbild eines Kampfes zwischen Winter und Frühling aufgeführt wurden. Spät am Abend kehrten die Bürger, beladen mit einer Bürde Maien, die zum Schmuck des Hauses dienen sollte, in die Stadt zurück. Matt führte aber im Zuge zwei Knaben zu Pserde mit sich, welche die beiden Jahreszeiten verkörperten. Das Frühlingsfest dauerte drei Tage; am Abend des dritten ging es mit dem Einziehen der Fahne durch die Walperherren, den 4 Vorstehern der Biereigen (für jedes Stadtviertel einen), zu Ende.
Donar: Verehrt wurde von unsern Ururväteru auch Donar,
der Sohn Wodans und der Frija. Er war der Gewittergott und der Donner das Rollen seines Wagens und der Blitz seine Waffe. Doch war er den Menschen auch freundlich gesinnt, schützte ihnen das Vieh, segnete ihre Feldarbeit und war ihnen ein lieber, hoher Familiengast, daher auch der Hochzeitsgott. Seine Farbe war
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Extrahierte Personennamen: Frija Frija Maria Maria
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Not, und rot sind heute noch die Bänder am Hut des Hochzeits-bitters und der Festgäste bei einer echten Thüringer Bauernhochzeit. — Donar war der Donnerstag heilig, und abergläubische Erfurter erwarten heute noch am Himmelfahrtslage, wenn sie den ersten großen Ausflug in die weitere Umgegenb der Stadt unternehmen, des Gottes stürmische Rebe. Unter dem Christentum ist Petrus der hauptsächlichste Stellvertreter Donars geworben. Er soll, wie man oft, aber nicht sehr schön sagen hört, Wenns borniert, Kegel schieben. Die heutigen Petersberge waren früher Tonars-bercte, und Petersklöster und Peterskirchen erbauten die ersten christlichen Senbboten gern an Donar geweihten Opserstätten, wie es auch bei uns in Erfurt geschehen ist.
Ostara: Donars Schwester Ostara, die Gemahlin des Frühlingsgottes Fro, war bett alten Thüringern besonders lieb, brachte sie ihnen boch nach langem, hartem Winter das neue Frühlingslicht. Ihr zu Ehren hielten sie an heiligen Orten Opferschmäuse und zünbeten Opserseuer an, in welche sie Frühlingsblumen warfen. Ostaras Verehrung war so allgemein verbreitet, daß die christlichen Priester das Auferstehungsfest des Herrn Ostern nannten, um bei unsern Altvorderen den Eingang des neuen Glaubens zu erleichtern und zu sichern. Mancher heutige Osterbrauch ist noch heidnischen Ursprungs, z. B. das Osterei. Wohl sagt man, das Osterei ist dem Christen das Sinnbild des aus dem Grabe zum Leben erstandenen Erlösers, doch war es den heidnischen Thüringern schon lange vorher ein Zeichen des wiedererwachenden Lebens im Frühling. Sie beschenkten sich mit Ostaraeiern, die sie der Göttin zu Ehren gelb, ihrem Bruder aber zu Ehren rot färbten. Auch kannten sie den Osterhasen, den Liebling der heutigen Kinderwelt, als ein der Lichtspenderin heiliges Tier.
Tippia: Zn den guten Gottheiten, welche die Verehrung
unserer Altvorderen erfuhren, gehörte auch Sippia, Donars Gemahlin, die Beschützerin der Freundschaft und Verwandtschaft und die Göttin der Fruchtbarkeit. Zu ihr veranstaltete man im Frühling Bittgänge, um Wachstum der Feldfrüchte und eine reiche Ernte zu erflehen. Das christliche Zeitalter behielt diese Bittgänge bei. In Erfurt bestehen sie heute noch als die Prozessionen nach Schmidt-stedt. An die Stelle der Sippia ist die Jungfrau Maria getreten, die sich der Deutsche am liebsten mit goldigem Haar, als dem Abbild des goldfarbigen Getreidesegens, dachte. Das Goldhaar der heiligen Jungfrau zeigen in besonderer Schönheit die Bilder eines Lucas Cranach, z. B. „die Verlobung der bl. Katharina" im Erfurter Domchor, auf welchem Gemälde das Haar der Madonna in schimmernden Goldfäden prangt.
Ziu: Wenn wir auch feine Anklänge mehr an Zin, den
Kriegsgott und den Hüter des Rechts, im heutigen Thüringen finden, so wurde ihm hier sicher dieselbe hohe Verehrung zuteil, die er überall bei den Germanen genoß. Bestimmt wissen wir,
tz.
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Extrahierte Personennamen: Donars Ostara Ostaras Tippia Donars Maria Maria Lucas_Cranach
Extrahierte Ortsnamen: Gottes Erfurt Erfurt Madonna
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daß die Sachsen nach dem Siege bei Burgscheidungen ein ihm gewidmetes und nach Sonnenaufgang schauendes Siegeszeichen in Altthüringen errichteten. Ziu war der zistag — diestag, unser Dienstag, heilig. Seinen wichtigsten Vertreter erhielt er bei der Einführung des Christentums im Erzengel Michael. Die Zinhei-ligtümer wurden zu Michaeliskirchen und Michaelisbergen. Unsere Michaeliskirche aber ist nicht an einer solchen alten Opserstätte erbaut; sie trägt ihren Namen nur Skt. Michael zu Ehren, der als Stellvertreter des Kriegsgottes zum Schutzherrn Deutschlands wurde.
Frau Holle: In hohem Ansehen stand bei unsern Vorsahren Frau Holle, die Führerin der den Verstorbenen entwichenen Seelen. Wegen dieser ihrer Tätigkeit hat man sie oft zur Gemahlin Wodans, des Totenführers (Walsadir — Totenvater), erhoben und mit Frija vertauscht. Die ausgehauchten Seelen, die sich im Flüstern der Blätter, im Rieseln des Wassers, im Sausen des Windes ver-nehmen ließen, konnten sich verwandeln und, wenn sie Anlaß zur Klage hatten, die Hinterbliebenen mit allerlei Spuk heimsuchen. Das Seeleutreiben fand in der Zwölstenzeit, die am 6. Januar zu Ende geht, statt. Noch heute glaubt mancher Ersnrter, daß ein Traum in diesen Nächten in dein bezüglichen Monat des solgenden Jahres in Erfüllung geht, und unterläßt nicht, in der Neujahrs-neicht Blei zu gießen, unl sich das Schicksal zu künden. Zu den Aufgaben der Göttin Holda gehörte es, sich um den Fleiß der Spinnerinnen zu kümmern. Die Flachsknoten der fleißigsten verwandelte sie in eitel Gold. In der Erfurter Sage lohnt sie die nie erlahmende Tätigkeit einer armen Wäscherin. Die Frau kehrte spät abends von der Arbeit heim und fand am Sockel der Andreaskirche eine Menge Maikäfer. Sie nahm eine Hand voll davon ihren Kindern zum Spielen mit und verwahrte sie zuhause in einem Topfe. Als sie jedoch am andern Morgen nachsah, waren sie in Gold verwandelt. — Bei Einführung des Christentums hat Frau Holle es sich gefallen lassen müssen, Anführerin der Hexen zu werden (Here = Zusammenziehung aus hagedisse — Hag- oder Buschwesen). Auf Besen oder sonstigem Gerät sitzend, ritt sie mit ihnen in der Walpurgisnacht um den Blocksberg. In dieser Nacht wurde früher nach uraltem Gebrauch in Erfurt von den Bürgersoldaten getrommelt, um ein Niederlassen des flüchtigen Hexenvolkes zu verhindern. Aus gleichem Grunde wurden auch die Haustüren mit drei Kreuzen bezeichnet. — In Thüringen war das Innere des Hörfelberges der Wohnort der mächtigen Holde, die, wenn sie die böse Seite ihres Wesens herauskehrte, eine Unholde sein konnte. Die Kirche des frühen Mittelalters hat sie bitter bekämpft. Sie bildete aus ihr eine Tenselin und wandelte das Berginnere zur Fegefeuerstätte um. Man wollte aus dem Hörselberge das Wimmern der gepeinigten Seelen vernehmen, daher fein Name Hör-Seelen-Berg. Das spätere Mittelalter war poetischer gesinnt.
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Extrahierte Personennamen: Michael Michael Holle Holle Holle
Iii. Bus der Geschichte Erfurts von 1§00 ad.
Stellung Erfurts zu Mainz und Sachsen und zum Reich: Um den Aufruhr der niederen Schichten der Bevölkerung, die durch die Straßensperre während der Streitigkeiten der Stadt mit Mainz und Sachsen (s. Nr. Ii) in große Not geraten waren, abzuwenden, hatte der Rat den Frieden von Amorbach und Weimar geschlossen (1483). In der Amorbacher Urkunde erkannte er das Mainzer Erzstist als den „rechten Erbherrn" an, dieses aber ließ Erfurt bei allen seinen Obrigkeiten, Herrlichkeiten, Gnaden, Freiheiten, Rechten und Gewohnheiten, die ziemlich bedeutende waren; denn außer der Erhebung des Marktzolls, der Freizinsen und eines geringen Anteils an der Gerichtsbarkeit standen dem Erzbischos keine weiteren Rechte mehr zu. Trotzdem war der Amorbacher Vertrag ein großer Sieg des Erzbischoss. Seine Anerkennung als „rechter Erbherr" der Stadt durch den Rat machte eine Entwicklung Erfurts zur völligen Unabhängigkeit von Mainz für die Zukunft unmöglich. Durch den Weimarer Vertrag aber, der Erfurt unter die Schutzherrschaft Sachsens brachte und ihm eine Steuer von fast unerschwinglicher Höhe auslegte, wurde geradezu eine Doppelherrschaft von Kurmainz und Kurfachfeu über die Stadt geschaffen und ein Zustand herbeigerührt, der in der Folge zu weiteren Kämpfen beider Gewalten um den Besitz Ersurts führen mußte. — Von 1417 bis 1471 war Erfurt als Reichsstadt angesehen worden, wie seine Ladungen zu den Reichstagen beweisen. Durch die Belehnung des Rates und der Bürgerschaft mit dem Reichslehen Kapellendorf (1352) war das Reich Erfurts „rechter Herr" und jene „des Reiches liebe Getreue" geworden; Erfurt hatte feit dieser Zeit den Königen die Lehenshuldigung geleistet, die zugleich die Hoheitshuldigung in sich schloß. Ta nun Kapellendorf auch nach 1483 der Stadt verblieb, fo war scheinbar nichts an der unmittelbaren Verbindung Erfurts mit dem Reiche geändert worden; aber wie schon oben gesagt, war es durch den Amorbacher Vertrag der Stadt unmöglich, sortan sich der anerkannten Macht des Erzstifts zu entziehen und in die Reihe der Reichsstädte einzutreten.
Geldnot Erfurts: Beide Verträge hatten über Erfurt eine
große Schuldenlast gebracht, die noch durch die in dieser Zeit eintretende allgemeine Geldentwertung bedeutend vergrößert wurde. Letztere hatten ihren Grund in der außerordentlich starken Ausbeutung der Edelmetalle im Harz und im sächsischen und ungarischen Erzgebirge und in dem Hereinfluten des überseeischen Gol-
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